Hilfetelefon für Männer: Dialogisch die Perspektive erweitern

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Ein Beitrag über ein innovatives Hilfetelefon für Männer bei Gewalterfahrung. Thomas Gesterkamp schreibt eine Bestandsaufnahme über ein genderdialogisches Modellprojekt und Lücken in der Forschung.

Drei schwarze Telefonhörer mit Kabel vor grauem Hintergrund

Gewalt ist ein heikles Thema in geschlechterpolitischen Debatten. Im häuslichen Umfeld gibt es ganz überwiegend weibliche Opfer, doch auch Männer sind betroffen. Ein innovatives Hilfetelefon unterstützt sie in Krisensituationen.

Björn Süfke arbeitet in der Beratungsstelle man-o-mann in Bielefeld. Die ostwestfälische Einrichtung ist eine von wenigen ihrer Art in Deutschland. “Spezifische, auf männliche Probleme zugeschnittene Angebote sind leider Mangelware”, bedauert der Psychologe und Buchautor. Denn gefördert werden hierzulande vorrangig Institutionen und Träger der Frauen-, Familien- und Erziehungsberatung. Dass auch das angeblich starke Geschlecht Unterstützung braucht, hat sich in der Praxis der Sozialarbeit noch nicht überall durchgesetzt.

Süfke ist einer der Wegbereiter des in Bielefeld beheimateten, aber bundesweit erreichbaren Männerhilfetelefons. Das Projekt wird von der nordrhein-westfälischen Landesregierung und vier weiteren Bundesländern (Bayern, Baden-Württemberg, Mecklenburg-Vorpommern und Rheinland-Pfalz) finanziell unterstützt. Das Gesamtbudget beträgt rund 400.000 Euro pro Jahr, wegen geringer Sachkosten fließt das Geld überwiegend in die Arbeit der Berater.

Die Nachfrage war von Anfang an groß - zumal der Projektstart im April 2020 mit dem ersten Corona-Lockdown zusammenfiel und deshalb Angebote in Präsenz zeitweise ausfielen. Sogar aus dem benachbarten Ausland kommen seither Anrufe. Neben Mitarbeitern der Bielefelder Beratungsstelle besteht das Team aus weiteren Fachkräften in anderen Städten. Man-o-Mann, schon in den 1990er Jahren etabliert, hatte innerhalb Nordrhein-Westfalens früh eine Pionierfunktion. “Über unsere Hotline sowie über Mail- und Chatkontakte wollen wir Männer ansprechen, die in erreichbarer Nähe kein passendes Angebot nutzen können”, erläutert Björn Süfke.

Überfüllte Frauenhäuser

Inhaltlicher Schwerpunkt ist das Thema Gewalt. In der Vergangenheit wurden Männer in diesem Kontext fast nur als Täter wahrgenommen. Die Unterstützung beschränkte sich auf Anti-Gewalt-Trainings für eine schwierige Klientel. Diese klare Akzentsetzung hatte auch ihre Berechtigung. Denn nach Daten des Bundeskriminalamtes sind vier von fünf Betroffenen im häuslichen Umfeld Frauen. Allerdings zählt die Polizeistatistik auch knapp 20 Prozent männliche Opfer - was lange tabuisiert wurde. Im öffentlichen Raum sind Männer deutlich häufiger mit Gewalterfahrungen konfrontiert als Frauen, die Täter sind allerdings meist ebenfalls männlich.

“Gewalt hat viele Gesichter” heißt es treffend auf der Webseite des Hilfetelefons. Schwere körperliche Verletzungen im privaten Bereich erleiden unzweifelhaft mehr Frauen. Sie flüchten vor ihren Männern und suchen, oft gemeinsam mit ihren Kindern, Schutz in Frauenhäusern. Allein in Nordrhein-Westfalen gibt es 64 solche Einrichtungen mit 622 Plätzen, die ständig belegt sind. Wie anderswo reichen die Kapazitäten bei weitem nicht aus.

Je mehr der Begriff Gewalt auf Demütigung, Bedrohung, Beschimpfung, umfassende Kontrolle oder andere psychische Angriffe ausgedehnt wird, desto mehr nähern sich die Erfahrungen von Frauen und Männern an. Björn Süfke und sein Team hören am Telefon ständig erschütternde Geschichten. Neben Gewalterlebnissen im engeren Sinne geht es um die Folgen von Trennung und Scheidung, um sexuellen Missbrauch in Kindheit und Jugend, um gesundheitliche Probleme oder um Depressionen bis hin zu Suizidabsichten. Es dauert häufig lange, in den Gesprächen Vertrauen herzustellen. Männer melden sich immer wieder auf der Hotline, sind als Daueranrufer bekannt - was die Grenzen dieser als niedrigschwellig bezeichneten Angebote aufzeigt. Telefonische Beratung kann kurzfristig helfen und Anstöße für persönliche Veränderung geben, aber keine therapeutischen Prozesse ersetzen.

Lücken in der Forschung

Das Institut für empirische Soziologie an der Universität Erlangen-Nürnberg hat das Männerhilfetelefon wissenschaftlich evaluiert. Der im April 2023 veröffentlichten Expertise zufolge steigerten sich die Kontaktaufnahmen von 1480 im Jahr 2020 über 3043 im Jahr 2021 auf 4498 im Jahr 2022. Seither sind die Zahlen in etwa stabil, die Auswertung erklärt das mit der inzwischen wieder möglichen Hilfesuche in Präsenz nach dem Ende der Pandemie. Der Bedarf an Männerberatung sei aber “vermutlich sehr viel größer”, heißt es in der Untersuchung. Wichtige Zielgruppen würden noch zu wenig erreicht, so sind Männer mit Migrationshintergrund deutlich unterrepräsentiert. Studienleiter Ralf Puchert fordert daher “mehrsprachige Beratungsangebote” und eine stärker intersektionale Perspektive. Auch bei behinderten Menschen, bei trans* Personen und “der gesamten queeren Community” sei von einem “deutlich erhöhten Gewaltrisiko” auszugehen.

Die Forschungslücken sind groß. 2013 hatte das Robert-Koch-Instituts (RKI) erstmals 6000 Betroffene zwischen 18 und 64 Jahren zu ihren Erfahrungen befragt. Frauen seien in Partnerschaft und Familie “tendenziell häufiger Opfer”, aber durchaus auch “Täterinnen”, lautete damals ein zentrales, aber auch strittiges Ergebnis. Beim Nationalen Netzwerk Frauen und Gesundheit und bei feministischen Wissenschaftlerinnen stieß der Befund auf Widerspruch. Die Studie sei “genderunsensibel” und verfolge ein “einseitiges Erkenntnisinteresse”, monierte etwa die Soziologin Monika Schröttle. So gebe es “keine differenzierte Erfassung von Schweregraden”. Es bleibe unklar, “welche konkreten Handlungen den Opfern widerfahren sind”: ob es sich zum Beispiel “um eine einmalige leichte Ohrfeige gehandelt hat oder um Verprügeln oder gar Waffengewalt”.

Wegen dieser Mängel, argumentierte Schröttle, sei das RKI zu anderen Wertungen gekommen als die meisten internationalen Studien. Die “kumulativen Effekte von häuslichen Gewalterfahrungen” seien “in hohem Maße geschlechterdifferent”. Weniger wissenschaftlich formuliert: Es macht einen gravierenden Unterschied, ob Frauen ihre Partner anschreien oder provozieren, vielleicht auch mal schubsen - oder ob Männer ihre Partnerinnen krankenhausreif schlagen. Der sehr weit gefasste Gewaltbegriff verzerrt die Ergebnisse. Daher, so Schröttles Folgerung, sei der Förderbedarf für weibliche Opfer nach wie vor höher.

Als Reaktion auf die Kritik aus frauenpolitischen Kreisen räumten die beteiligten Wissenschaftler*innen Versäumnisse ein. Umgekehrt offenbarten sich aber auch blinde Flecken der feministischen Diskussion. Denn auch männliche Opfer sollten in den Blick genommen werden. Auch sie brauchen Unterstützung und Fluchtpunkte, wo sie zur Ruhe kommen und sich über ihre Zukunft klar werden können. Hilfsangebote wie das Bielefelder Modellprojekt, die sich genderdialogisch und nicht konfrontativ gegen Frauen aufstellen, sind deshalb wichtig und förderungswürdig.